Wissen­schaft­liche Arbeiten

In Kooperation mit den entsprechenden Lehrenden und Studierenden der FU Berlin sowie mit externen Partner:innen möchten wir Fachbeiträge zu verschiedenen Aspekten des Judentums und Israels veröffentlichen sowie neue Erkenntnisse in der Antisemitismusforschung. Die Beiträge werden von Wissenschaftler:innen und Expert:innen verfasst und behandeln Themen wie Geschichte, Religion, Kultur und Gesellschaft.


Der Konflikt zwischen Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Universitäten


Masterarbeit von Jahne Vincent Nicolaisen, 2023


Gegen ein allgemein-abstraktes Verständnis ist der spezifisch akademische Antisemitismus zu bestimmen, der sich als Ideologie an das akademische Feld anpasst: So wird Wissenschaftsfreiheit als defensives Individualrecht und die wissenschaftliche Form beansprucht, während sich antisemitische Ressentiments und Wissenschaftsfeindlichkeit zeigen. Die Bedrohung für die Wissenschaftsfreiheit ist aus seiner irrationalen, antagonistischen und spaltenden Logik zu begreifen. Denn er geht mit Täter-Opfer-Umkehr, Leugnungen und weiteren sozialen Abwehrhandlungen einher, die Antisemitismuskritik erschweren und einen verschwörerischen ‚jüdischen‘ Feind imaginieren, der ‚Kritik‘ unterdrücke. Antisemitisch Agierende profitieren von einer organisationskulturellen Neutralität in den deutschen Universitäten, die selten Sanktionen folgen lassen – wenn sie das Problem überhaupt benennen. 


Denn die institutionelle Selbstregulierung und ihr Ideal der Wissenschaftsfreiheit scheitern an einem systemisch reproduzierten Antisemitismus und einer spiegelbildlichen Selbstidealisierung: Die zumeist liberalen Theorien (hier: Elif Özmen) der Wissenschaftsfreiheit gründen auf den Dualismen wissenschaftlich/ unwissenschaftlich und wissenschaftlich /ideologisch, mit der das Ideologische ausgeblendet wird. Während Özmen auf der Trias von Rechtsstaat, demokratischer Gesellschaft und akademischer Selbstregulierung vertraut, zieht sie keine Konsequenz aus ihrer Erfahrung, dass die meisten Professor:innen bei "Vorfällen“ schweigen. In ihrem Zweckrationalismus, Pragmatismus und Formalismus blendet Özmen von der real unvernünftigen Gesellschaft ab, die systemisch pathisch-projektive Bedürfnisstrukturen, entsprechende Deutungsmuster und mit Alltagsgewalt verbundene strukturelle Angstregime reproduziert. Für Jüdinnen und Juden gehören Universitäten zu jenen Regimen, da im akademischen Milieu mit dem „progressiven“ Ticket, das auf bestimmten schützenswerten, rigiden Gruppenidentitäten gründet, die Widerstandskraft gegen jede Form des Antisemitismus (insb. israelbezogen) schwindet. 


Indirekt können humanistische Kernmissionen der Akademie (A. Rosenfeld) und ihre Strukturprinzipien (R. K. Merton) Schlimmeres verhindern. Allerdings wäre eine kritische Theorie skeptisch, da jene humanen Missionen und Prinzipien im Antisemitismus als einer „Ontologie der Reklame“ (Adorno) verhöhnt würden. Mehr noch, die ‚Grenzen der Aufklärung‘ stecken in der Wissenschaftsfreiheit selbst: Unter der formalrechtlichen Freiheit kann sich der antisemitische Wahn in wissenschaftlichen Meinungen ‚frei‘ äußern und reproduzieren – das ist der ‚Antagonismus im freien wissenschaftlichen Meinen‘ (in Anlehnung an Adorno). Eine kritische Theorie zielt auf eine antinomische Moralkritik unter den Bedingungen des herrschenden Allgemeinen, die jede sozial und von vernünftigen Zwecken abstrahierende Ethik zur schlechten Unendlichkeit verleiten. Die formale Freiheit zur Wissenschaft bedarf mündiger Subjekte, die diese in bewusster gesellschaftlicher Negativität entfalten und Verfolgte unterstützen. Nicht zuletzt würden sie sich gegen instrumentalisierende Praxisanweisungen stellen und für den Vorrang des zu erkennenden Objekts eintreten, von dem keine unliebsamen Erscheinungen subjektiv abzuwehren sind.


Masterarbeit
Der Konflikt zwischen Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Universitäten
Nicolaisen_Masterarbeit_öffentlich.pdf (1.12MB)
Masterarbeit
Der Konflikt zwischen Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Universitäten
Nicolaisen_Masterarbeit_öffentlich.pdf (1.12MB)


» Vorstellung der Masterarbeit im Rahmen der Tagung am 2. Mai 2024








1948: Der erste arabisch-israelische Krieg


In seiner Monografie „1948. Der erste arabisch-israelische Krieg“ beleuchtet Benny Morris die Hintergründe und Ereignisse, die zum Ende des Britischen Mandats in Palästina, zur Zersplitterung der arabisch-palästinensischen Gesellschaft und schließlich zur Geburt des Staates Israel führten. Im Fokus der Betrachtung steht dabei die unmittelbare Reaktion auf die Staatsgründung: der panarabische Angriffskrieg. Morris‘ akribische Auswertung der seit den 1980er Jahren zugänglichen israelischen und internationalen Archive ermöglicht einen klaren, dokumentarischen Blick auf die vielfach mythologisierte Geschichte des Krieges von 1948 und seine politischen wie militärischen Akteure. Gegen die mithin geschichtsvergessenen und ressentimentgeladenen Debatten um Israel und Palästina, um Zionismus und Vertreibung liefert dieses erstmals in deutscher Sprache erscheinende Buch somit die dringend benötigte historische Aufklärung.


 

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Israelbezogener Antisemitismus


Was genau ist israelbezogener Antisemitismus, wie lässt er sich von nicht-antisemitischen Äußerungen zu Israel unterscheiden? Welche Geschichte und historischen Vorläufer hat er und wie manifestiert sich das Phänomen in der Gegenwart?

In seinem Fachbeitrag  "Israelbezogener Antisemitismus" für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beleuchtet Lars Rensmann die verschiedenen Formen, die Geschichte und die empirischen Befunde dieses Phänomens.


Lars Rensmann ist Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Rijksuniversiteit Groningen/Niederlande und leitet das dortige Zentrum zur Erforschung demokratischer Kulturen und Politik.